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Alpen

Bescheidenheit im hohen Wallis

By 28.09.2017Juli 19th, 2021One Comment

Ausgerechent für die höchste Etappe meiner Tour, durch die Walliser Riesen, hatte ich das Thema “Bescheidenheit” gewählt. Jetzt könnte ich es mir leicht machen und sagen: im nachhinein betrachtet hatte die Etappe deshalb das Thema Bescheidenheit, weil hier mein tatsächlich zurückgelegter Fußweg wegen der Unfälle im Vergleich zu meiner geplanten Route wirklich bescheiden ist… Aber das wäre zu einfach und es stimmt auch nur faktisch. 
Denn es war es wirklich spannend darüber nachzudenken was Bescheidenheit am Berg und auch sonst im Leben bedeutet. Zudem ist es nicht zuletzt der Reflektion über das Thema zu verdanken, dass es mir gelungen ist, nicht nur etwas bescheidener unterwegs zu sein, sondern mich in dieser Bescheidenheit auch noch wohl zu fühlen. Nach dem ersten Weckruf (Absturz) war ich gegen meinen Instinkt gerannt und bin damit gestolpert. Es brauchte den zweiten Weckruf, der einen Knick in meinem Finger machte der einem Häkchen glich: Check. Ich hatte es endlich kapiert. Pause ist angesagt. Bescheidenheit. Zwei Tage und drei Nächte am selben Ort zu bleiben war wirklich gut und richtig. Nicht gleich weiter auf Gipfel zu jagen, die sich in ihrem Innern vermutlich ob meiner Hast amüsieren, wohl wissend dass sie noch sehr lange da sein werden. Es war eine Erfahrung, die mir bewiesen hat, dass diese Form der Bescheidenheit sehr kostbar und wirkungsvoll sein kann. 
Bescheidenheit habe ich als Thema auch deshalb gewählt, weil ich persönlich mir damit meistens schwer tue. Stilistisch liebe ich zwar die Bescheidenheit (in meiner Einrichtung, in meiner Arbeit – also bei Bühnenbildern oder auf Sets), persönlich bin ich aber eher eine Angeberin. So sehr ich Bescheidenheit an anderen Menschen schätze und bewundere, es ist leider nicht unbedingt Teil meines eigenen üblichen Charakters. 
Daher will ich zunächst einmal anschauen warum man nicht bescheiden ist. Und glücklicherweise sind gerade Bergsteiger ja oft ein exzellentes Exempel für wenig Bescheidenheit. Zumindest wenn es darum geht von den eigenen Erfolgen und Gipfeln zu erzählen. Ich gehe davon aus, dass viele Leser das aus (eigener) Erfahrung kennen ;-). In den Erzählungen wird also farbenfroh und extrem bebildert, es wird übertrieben und hier und da wird ein kleines oder großes Detail hinzugefügt. Dann weiß der Erzähler irgendwann selbst nicht mehr, ob er das tatsächlich so erlebt hat oder ob es nur so in seiner Erinnerung kleben geblieben ist und dort nun die richtige Erinnerung verstopft. Und ja, ich kenne das: es macht auch manchmal Spaß berichtend in die Vollen zu gehen. Aber warum? 
Ich glaube es gibt dafür insbesondere zwei Gründe und ich will versuchen beide wohlwollend zu beschreiben. Einerseits ist es sicherlich so, dass das was man erlebt einem selbst so großartig vorkommt, dass eine einfache Erzählung der Tatsachen in der Wahrnehmung des Erlebenden niemals dem gerecht werden könnte, was man tatsächlich erlebt hat. Also wird die Geschichte ausgeschmückt, vermeintlich damit das Gegenüber die Großartigkeit begreifen kann. Absurd dabei ist, dass man “Großartigkeit” ja nicht messen kann, weil sie jeweils im Auge des Betrachters  liegt. Die Mühe ist also mit großer Wahrscheinlichkeit für die Katz. 
Zweitens würde ich vermuten, dass Bergsteiger, wie auch viele andere (Extrem)Sportler (wie oft auch Schauspieler) durch ihr eigenes Bedürfnis nach Adrenalin, Spannung und Erlebnis häufig zu Geltungssucht tendieren. Vielleicht ist das gerade deshalb so, weil sie sich mit ihren Tätigkeiten in einem Randbereich bewegen der für andere Menschen nur schwer zugänglich ist. Geltungssucht entsteht ja aus einem empfundenen Mangel an Respekt von außen für die eigene Leistung, oder? Auch hier denkt man vielleicht, dass man nur durch eine “plastischere” Beschreibung überhaupt dahin gelangen kann, in der eigenen Leidenschaft verstanden (und gegebenenfalls bewundert) zu werden.
Ich würde behaupten, dass es (zumindest in meiner Generation) wenig bescheidene Bergsteiger gibt. Speziell in meinem aktuellen Heimatörtchen München grassiert eine massive “Bergsport-Coolness-Sucht”, die leider nur zu oft am wenigsten mit dem eigentlichen Hauptakteur, dem Berg, zu tun hat. Die Zugspitze muss rennend erobert werden und nichts ist wichtiger (nicht mal die eigene Gesundheit) als mit Bestzeit durch Ziel zu rennen. Hat man dabei den Beeg überhaupt wahrgenommen? Oder hätte man nicht auch im Fitnessstudio das Laufband ganz steil einstellen können und sich auf dem Monitor die Landschaft nebst eigenen Biodaten anzeigen lassen können? Je länger ich unterwegs bin, umso weniger verstehe ich das. Obwohl ich selbst viel und gerne Trailruns unternommen habe.
Nicht umsonst erkennt man die wirklichen Profis (und das ist nicht nur im Bergsport so) oft eben an ihrer Bescheidenheit. Sie schöpfen diese aus einer inneren Ruhe und haben oft einen entspannten Humor, der nur mit der Erfahrung wachsen kann.
Es ist schade, denn Bescheidenheit passt eigentlich zum Bergsteigen besonders gut. Man bewegt sich an einem Ort und auf eine Weise die meist fernab der technologisierten Welt liegt. Klar, heute hat man auch am Berg viele technische Möglichkeiten. Vom GPS Gerät über die Schuhheizung bis zum Skilift. Aber wenn man nur bergsteigen oder wandern geht, dann braucht man nicht mehr als seinen Körper, eine gute Wahrnehmung, einen Rucksack mit etwas zu trinken. Und damit gehen wir raus und rauf in die Berge. Im Vergleich zu dem worin wir uns in unserem sonstigen Alltag bewegen, ist das eigentlich bescheiden. Und als Bergsteiger ist es doch genau diese Form der Bescheidenheit, nach der wir in den Bergen suchen, weil sie so einmalig schön und wohltuend ist. Oder?