Der Karnische Höhenweg ist ein wahres Paradies des Atems. Man geht die meiste Zeit oben auf dem Grat der Karnischen Alpen entlang und man hat einen unfassbar schönen Weitblick in beide Richtungen. Es geht immer knapp an der Grenze zwischen Österreich und Italien entlang und vorbei an zahlreichen Ruinen von Stellungen aus dem 1. Weltkrieg. Es ist schwer vorstellbar, wie Soldaten damals im Angesicht dieser Schönheit so einen fürchterlichen Krieg geführt haben, der vielerorts ein reines Massaker gewesen sein muss.
Im Laufe der Etappe habe ich zusammen mit Katalin festgestellt, wie auf unserem Weg über die Berge ein paralleler Prozess des Atems im Körper und in der Wahrnehmung der Umwelt stattfindet.
Wenn wir angestrengt bergauf laufen, sehen wir oft runter zu den Füßen, damit wir wissen wo wir hintreten und nicht stolpern. Zudem stellt sich hier eine Konzentration ein, ein Rhythmus durch die Betrachtung des Bodens, der das Vorankommen erleichtert. Das ist wie Einatmen, Sauerstoff aufnehmen, Kraft tanken. Dann bleiben wir stehen und sehen uns um. Nehmen wieder die immense Weite wahr, die in der Konzentration des Gehens manchmal fast in Vergessenheit geraten ist, und die uns die Aussicht in den Bergen oft ermöglicht. Es ist jedes Mal wie ein Seufzen, ein wohltuendes und notwendiges Ausatmen, das uns frei macht, uns öffnet, und Raum schafft für Neues.
Vor etwas über einem Jahr habe ich am Berg Thomas kennengelernt, mit dem ich heute Vormittag, während draußen der Nebel schwelt, lange hin- und hergeschrieben habe. Thomas ist Arzt, und er hat damals mit seiner Beschreibung einer Herz-OP einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ich habe ihn gebeten mir zu erklären, was passiert, wenn wir atmen. Ich will versuchen das was er gesagt hat hier mit meiner Erfahrung durch die Berge in Zusammenhang zu bringen. Denn, wie schon oben beschrieben, fasziniert es mich, dass physische Prozesse im Körper oft Spiegel sind von Prozessen in der Umwelt. Die Verbindung zwischen diesen Prozessen zu erkennen, empfinde ich als sehr wertvoll.
Die Zellen in unserem Körper brauchen Sauerstoff, den sie durch das Einatmen bekommen. Aber es reicht nicht aus, nur zu atmen. Wir müssen Hämoglobin (Trägersubstanz) zur Verfügung haben, um den Sauerstoff im Körper transportieren zu können. Es ist also auch hier mehr nötig zum Leben, als zunächst offensichtlich. Das Äußere (hier: Atmen) und das Innere (hier: Hämaglobin) braucht sich gegenseitig – muss miteinander in Wechselwirkung treten.
Beim Einatmen entsteht durch die Erweiterung des Brustkorbs, sprich durch die Rippen mit ihren zwischenliegenden Muskeln und dem Zwerchfell ein Unterdruck im Brustraum. Folglich strömt Luft hinein und der darin enthaltene Sauerstoff wird an das Blut gebunden. Mit jedem Einatmen beginnen wir auszuatmen. Mit jeder Vollendung eines Schrittes, beginnt schon ein Neuer. Das klingt so selbstverständlich und doch finde ich es wichtig sich immer wieder bewusst zu machen, dass es um die Verbindung zweier Pole geht. Zwei Gegensätze die sich brauchen: Schritt und Blick, Innen und Außen, Ein- und Ausatmen.
Hier oben ist es leichter bewusst zu atmen. Ich spüre die frische Luft morgens beim Yoga bis in die Zehenspitzen in mich einfließen. Sie füllt mich, nicht nur mit Sauerstoff, sondern mit Freude. Mit Freude am Leben zu sein und das hier alles erleben zu dürfen. Und mit tiefen Dankbarkeit für die Gesundheit, die mir geschenkt ist.
Bebildert durch die Augen der Fotografen Christian Bock, Merlin Essl, April Larivee, Anne Kaiser, Anna Euler und Lars Schneider.